10. März 2024

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Emotionales Essen und Trauma

Von Ilga Pohlmann

Zum Mitnehmen: 
Emotionales Essen ist eine Sucht, die in meinen Augen maßgeblich von Traumata verursacht ist. Was ein Trauma ist und wie Emotionales Essen und Trauma zusammenhängen, das schauen wir uns hier an.

Bevor ich das mit dem Emotionalen Essen gelöst hatte, hab ich nicht verstanden, warum ich das bloß mache. Warum konnte nicht einfach, so wie alle anderen auch, "normal" essen? Ich hab mir Vorwürfe gemacht und war in meinen Gedanken wirklich oft sehr unfreundlich zu mir selbst.

In meinen Augen war ich, im nettesten Fall, eine Naschkatze, ganz oft aber auch “schwach und undiszipliniert”, “verfressen”, “ein Versager” und das musste mit aller Härte bekämpft werden! Was sonst sollte auch helfen?

Vielleicht geht es dir ähnlich und du machst dich in lieblosen Selbstgesprächen auch fertig? Aber hast du schon mal von davon gehört, dass Trauma und Emotionales Essen miteinander zu tun haben können und dass es ganz andere Wege gibt, um das Problem wirklich zu lösen?

Ich wusste damals auch noch nichts über die Ursachen von Emotionalem Essen und hatte nichts von dem Zusammenhang mit einem Trauma gehört.

Aber diese Infos sind wichtig, um dein Verhalten zu verstehen. Damit diese ziellose – und im Grunde genommen erfolglose – Selbstbekämpfung auch bei dir aufhören kann, möchte ich in diesem Artikel mit dir in das Thema Trauma eintauchen, damit du besser verstehst, wie Emotionales Essen entsteht.

Als du das letzte Mal emotional gegessen hast: Was war der Grund dafür?

Lass uns mit einer kleinen Aufgabe einsteigen. Überleg einmal: 

Was war das letzte Mal los, als du mehr gegessen hast, als eigentlich nötig war? Was war VORHER los? Was ist passiert, das dich möglicherweise so aus der Bahn geworfen hat, dass du zum Essen greifen musstest? Wie hast du dich in dem Moment gefühlt?

Wahrscheinlich fällt es dir gar nicht so leicht, den Auslöser zu finden oder das Gefühl zu benennen, weil du bisher an dieser Stelle noch gar nicht nach dem Grund für das Essen gesucht hast, oder? Vielleicht ahnst du aber auch schon, dass es an deiner Stimmung und schwierigen Gefühlen liegen könnte, und du willst dort am liebsten gar nicht näher hinschauen. Beides wäre mehr als verständlich.

Es ist unangenehm, sich genau anzusehen, warum man emotional isst. Es scheint paradox zu sein! Aber genau deswegen tritt Emotionales Essen auf: um es nicht (mehr) zu fühlen, was los ist. Essen ist in dem Fall eine Verdrängungs- oder Überlebensstrategie.

Ok, lass uns das genauer angucken. Dann wird es dir bestimmt klarer. Ich möchte dir erklären, welcher Mechanismus dahinter steckt.

Hinter jeder Sucht liegt ein echter Grund: Trauma. 

Wenn du emotional isst (oder Zigaretten rauchst oder Alkohol in einem Maße trinkst, das dir nicht gut tut, oder sonstige Dinge tust, die dir nicht gut tun), dann liegt dahinter immer ein tieferer Grund. Hinter einer Sucht liegt ein Schmerz.

In deiner Vergangenheit (meist in der Kindheit) ist irgendetwas passiert, das dich überfordert und verletzt hat und nicht ausreichend verarbeitet werden konnte.

Dieser Schmerz steckt noch in dir und klopft immer wieder bei dir an, um von dir gesehen zu werden.

Ein Beispiel:

Deine Eltern haben sich gestritten, als du klein warst. Du warst verängstigt, hattest vielleicht richtig heftige Angst, dass sie sich scheiden lassen und einen Elternteil zu verlieren. Als Kind sind diese Gefühle furchtbar, weil sie sehr schnell existenziell werden können. Was, wenn meine Eltern nicht mehr für mich da sein können? Was passiert dann mit mir?

Wenn du dich heute mit deinem Partner streitest, hast du vielleicht urplötzlich eine ähnlich starke Angst, ihn zu verlieren. Meist ist das die Angst von früher, die wieder aktiviert wird. Du erinnerst dich unbewusst an die Situation von damals und weil die Gefühle sich immer noch so heftig anfühlen wie damals, brauchst du ganz schnell ein Hilfsmittel, um dich wieder zu beruhigen (zu regulieren) – Du greifst zum Essen, denn dein System weiß aus Erfahrung: Das funktioniert!

Aus deiner Erwachsenenperspektive ist dir vermutlich klar, dass dein Partner dich nicht verlassen wird, weil ihr euch über eine belanglose Alltagsangelegenheit streitet. Oder dir ist klar, dass du sogar das überleben und alleine klar kommen würdest und trotzdem sind die auftretenden Ängste so stark, als würde es um dein Leben gehen. Diese heutige Situation erinnert dich so sehr an damals, so dass du die Angst von früher wie automatisiert auf heute überträgst.

--> Ganz wichtig zu wissen, ist, dass das zum größten Teil unbewusst abläuft.

Die wenigsten können innehalten und zu ihrem Partner sagen: “Schatz, ich raste gerade so aus, weil meine Angst von damals, als ich 4 Jahre war, wieder hochkommt.”

Der rationale Denker in uns sieht vielleicht sogar, dass da gerade etwas Unbewusstes in uns abläuft (“Irgendwie drehe ich gerade total am Rad. Mir geht’s echt nicht gut.”)

Aber was genau passiert, das schaffen wir meistens nicht zu sehen (“Keine Ahnung, was mit mir los ist.”) Und wir möchten uns auch lieber mit dem Essen davor beschützen, weil es uns damals so überwältigt hat – und wir uns irgendwann wie versprochen haben, dass wir nie wieder etwas damit zu tun haben werden. Es war einfach zu schlimm!.

--> An dieser Stelle sprechen wir von einem Trauma.

Ein Trauma ist ein Gefühl von früher, das wir nicht ausreichend verarbeiten konnten. Um uns zu beruhigen, haben wir es, ohne es zu bemerken, ins Unterbewusstsein verdrängt, und von dort hat es, ohne dass es uns bewusst ist, Auswirkungen auf unser heutiges Verhalten. 

Wie kommt es zu einem Trauma?

Wir alle haben Situationen in der Kindheit erlebt, die uns nicht gut getan und die uns überfordert haben. Das Problem sind oft nicht die Situationen an sich, sondern dass wir nicht gut begleitet worden sind, um sie zu durchleben.

Die Situationen haben so heftige Gefühle in uns ausgelöst, dass wir als Kinder nicht in der Lage waren, uns selbst zu regulieren. Gabor Maté berichtet davon, dass Säuglinge beispielsweise den Körperkontakt und das Gehirn des Erwachsenen brauchen, um sich beruhigen zu können. Für die Selbstregulation fehlt ihnen ganz einfach noch die neuronale Voraussetzung.

Emotionales Essen Trauma

Niemand war da, um Sicherheit zu geben.

Wenn kein Erwachsener für uns da war, der uns in unseren Gefühlen begleiten konnte, um sie zu durchfühlen, blieb uns nichts Anderes übrig als diese Gefühle zu unterdrücken. Wir haben sie verdrängt, um zu überleben und um keinen größeren Schaden davon zu tragen.

--> Das hat geklappt: Wir haben es (scheinbar) überstanden und konnten weitermachen.

Das Problem ist jetzt nur, dass dadurch ein Trauma entsteht. Wir spalten einen Teil in uns ab, zu dem wir keinen richtigen Zugang mehr erhalten. Unser System sorgt ab jetzt dafür, dass wir möglichst nie wieder mit diesem Anteil in Kontakt kommen werden und findet allerhand Strategien, um uns davon abzulenken. Essen ist eine davon.

Ein weiteres Problem ist, dass mit diesem Trauma immer auch “positive” Dinge in uns verschüttet werden. So kann die Selbstliebe, das Urvertrauen oder die kindliche Leichtigkeit in uns mit “versteckt” werden und uns für das weitere Leben nicht mehr zur Verfügung stehen. 

Wie oft hört man den Spruch: “Mit diesem Erlebnis endete meine Kindheit und der Ernst des Lebens begann!”

Die gute Nachricht: All die guten Gefühle sind noch da. All das versteckt sich in dem “Raum” des abgespaltenen Anteils und wir können es wieder befreien.

Der Auslöser für ein Trauma ist nicht immer offensichtlich dramatisch. 

Häufig denken wir bei Trauma an schlimme Ereignisse wie Krieg, Vergewaltigung oder ein gewalttätiges Elternteil. Diese Situationen lösen auch oft Traumata aus. 

Aber in vielen Fällen ist nichts objektiv Schlimmes passiert. Zumindest aus Sicht eines Erwachsenen. Für das Kind kann es sehr wohl eine überfordernde Situation gewesen sein!

Wenn ich mit meinen Klienten der Ursache des Emotionalen Essens auf die Spur gehe und wir bei heftigen Traumata landen, sind es von außen gesehen oft harmlose Situationen, von denen man nicht erwarten würde, dass sie im späteren Leben so einen starken Einfluss haben. 

Der erste Schultag ist zum Beispiel für viele Kinder überfordernd, was viele Erwachsene gar nicht so einschätzen. Dieser Tag mit all den neuen Eindrücken kann das Kind so verunsichern, dass es einen Schmerz entwickelt (“Das schaffe ich nicht! Das ist zu viel! Ich weiß gar nicht, was von mir erwartet wird.”), und so ursächlich für übermäßiges Essen sein. 

Traumatisch können für Kinder auch Momente sein, in denen sie sich nicht trauen, für sich einzustehen, und vor allen Dingen keinen Schutz bekommen. Wenn zum Beispiel der Onkel den Kuss auf die Wange verlangt, das Mädchen aber spürt, dass sich das für sie nicht richtig anfühlt. Wenn dann niemand da ist, um ihr zu sagen, dass sie das nicht tun muss, sieht sie vielleicht keine andere Möglichkeit, als der Forderung nachzukommen und damit ihr Unwohlsein zu übergehen. 

Große Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl eines Menschen kann es auch haben, wenn ein kleines Kind aus einem versunkenen Spielezustand zurückkommt, sich nicht gleich orientieren kann und die Eltern als Ankerpunkt nicht sofort sieht. Das kann zur Folge haben, dass der Mensch sein Umfeld ständig im Blick haben muss, um nicht erneut den Überblick (die Sicherheit) zu verlieren. 

Auf Feiern erzählen Menschen manchmal von Erlebnissen aus ihrer Kindheit und amüsieren sich im Nachhinein darüber, was für “ein Theater” sie als Kind gemacht haben. Das können genau die Momente sein, in denen sie als Kind Begleitung gebraucht hätten! 

Zum Glück haben viele dieser stressigen Situationen in der Kindheit keine Auswirkung auf das spätere Leben, weil die Eltern das Kind aufgefangen und gehalten haben. Wenn dies aber nicht der Fall war und das Kind keine andere Wahl hatte als das überwältigende Gefühl abzuspalten, dann kommt es zu einem Trauma.

Auswirkungen des Traumas im Erwachsenenleben

Das Problem ist, dass diese ungefühlten Gefühle (= das Trauma) immer noch in uns stecken. Wie oben gesagt: Sie sind nicht einfach verschwunden. Sie sind in uns gespeichert – und können jetzt im Erwachsenenalter durch noch so kleine Alltagssituationen wieder angetickt – neudeutsch: getriggert – werden. Wir werden dann wieder an die Situation erinnert und reagieren mit den gleichen Gefühlen wie damals.

Unser System sorgt dann mit gelernten Strategien blitzschnell dafür, dass sie wieder verdrängt werden. Extreme Ohnmachtsgefühle werden dann zum Beispiel mit Wutanfällen überdeckt (eine sehr aktive Reaktion, das Gegenteil von Ohnmacht), Scham wird mit extremen People-Pleasing “neutralisiert” und Traurigkeit wird vielleicht mit Eisessen gestillt.  

Video: "Wie der Körper Trauma speichert"

In diesem Video erklärt Bessel van der Kolk die Entstehung und die Zusammenhänge rund um Trauma. Er ist ein niederländischer Facharzt für Psychiatrie mit Schwerpunkt Traumatherapie und Forschung zu posttraumatischen Belastungsstörungen. 

Emotionales Essen und Trauma

Irgendwann haben emotionale Esser also das Hilfsmittel Essen gefunden, um die immer wieder hochkommenden Gefühle von früher nicht fühlen zu müssen. Immer wenn sie spüren, dass da wieder etwas Unangenehmes hochkommt, essen sie. Und das funktioniert mit der Zeit extrem schnell und sehr unbewusst.

--> Das klappt: Das Essen beruhigt. Der Schmerz lässt nach. Es geht wieder.

Leider folgen dann schnell dir Vorwürfe ("Warum hab ich schon wieder so viel gegessen?").

Damit beginnt leider ein Teufelskreis:

Mit der Essenshilfe kommen wir nicht mehr an die Ursache der Gefühle heran. Das ist genau das, was wir einst mit dem Essen erreichen wollten. Wir überdecken das Ereignis, den Schmerz, die Erinnerung. Bis wieder die nächste Situation im Jetzt kommt, die alte Gefühle in uns aufweckt.

Und da die scheinbare schnelle Lösung (= das Emotionale Essen) so einfach ist, greifen wir schnell zu ihr und betäuben das Gefühl, das uns den Weg zum Ursprung zeigen könnte. Wir schließen die Tür und verhindern – aus Angst vor dem Schmerz – die Heilung. 

--> Das Verrückte ist, dass wir mit den Gefühlen, die wir damals gut in uns verschlossen haben, heute umgehen könnten.

Emotionales Essen Trauma heilen

Heute können wir das Trauma heilen. 

Denn heute sind wir erwachsen, wir sind groß, nicht mehr abhängig und auch nicht mehr so überfordert von der Situation. Aber das weiß der Teil von uns, der in den Kindesbeinen stecken geblieben ist, noch nicht: Dieser Teil hat einfach nur große Angst davor, wieder zu fühlen, was damals war.

Verständlicherweise!

Es ist auch völlig in Ordnung, die Essenslösung gewählt zu haben. Es war sogar klug: Wer weiß, wie wir die schwierigen Situationen unseres Lebens ohne das Essen ausgehalten hätten!

Aber jetzt bist du erwachsen, du wirst niemals wieder so hilflos und ausgeliefert sein wie damals*. Und deshalb kannst du etwas ändern.

Da du hier bist, gehe ich davon aus, dass du dir eine neue Lösung wünschst. 

* Auch wenn du dich manchmal noch so fühlst. Kleiner Hinweis: Das sind die Gefühle deines Inneren Kindes.

Der Zusammenhang zwischen Emotionalem Essen und Trauma ist unbewusst und liegt im Verborgenen.

Mir ist wichtig nochmal zu betonen, dass das, was ich oben beschrieben habe, zum allergrößten Teil unbewusst abläuft.

Wenn man mit einer Technik in die Traumaarbeit einsteigt, kann man diese Abläufe ins Bewusstsein holen. Aber wenn du bei dir (noch) nicht klar siehst, ist das völlig normal!

Für Traumaarbeit braucht man meist eine Hilfe: eine Methode, ein lebensveränderndes Ereignis, 40 Tage in der Wüste ... irgendeine Hilfe, damit es klick macht. Ohne geht es meiner Meinung nach kaum. Die plötzliche Erkenntnis ist vermutlich noch seltener als ein Sechser im Lotto mit der passenden Superzahl.

Hilfe für dich: Was kannst du jetzt tun?

Puh, ... das ging tief. Ich kann mir gut vorstellen, dass das bei dir was in Bewegung bringt.

Aber keine Sorge, ich habe mehr Unterstützung. 

Hier kannst du nachlesen, warum es uns oft schwer fällt, an den Kern des Traumas zu kommen: Emotionales Essen als Beschützer

Wenn du noch tiefer in das Thema des Traumas und seiner Verbindung zum Emotionalen Essen einsteigen möchtest, kannst du hier mehr dazu lesen: Was ist Emotionales Essen? 

Und hier erkläre ich dir, wie du Emotionales Essen stoppen kannst, indem du das Trauma löst. Meine Lieblingsmethode dafür ist die Klopftechnik


Bilder: Canva

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