28. November 2022

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Körperliche Ursachen von Emotionalem Essen

Von Ilga Pohlmann

Zum Mitnehmen: 
Auf dem Weg raus aus dem süchtigen Essverhalten (Zuckersucht, Esssucht, Emotionales Essen) ist es eine sinnvolle Idee, den Körper durch eine nährstoffreiche, naturbelassene Vollwerternährung mitzunehmen, das süchtig machende Lebensmittel für eine gewisse Zeit aus der Ernährung zu streichen und dem Körper damit zu helfen, die im Artikel beschriebenen suchterzeugenden körpereigenen biochemischen Reaktionen zu verlassen. 

Für eine ganzheitliche Heilung der Sucht empfehle ich jedoch sehr, sich zusätzlich die emotionalen Ursachen der Sucht anzuschauen. In meinen Augen ist Heilung nur möglich, wenn wir die Seele mit auf den Weg nehmen. 

Hier auf meinem Blog von Endlich frei essen! schaue ich für gewöhnlich auf die seelischen und emotionalen Ursachen von Emotionalem Essen. Die Heilung der emotionalen Ursachen der Sucht ist für mich heute die überzeugendste Herangehensweise, um die Sucht zu lösen. (Dazu schreibe ich am Ende des Blogartikels mehr.)

Körperliche Ursachen von süchtigem Essverhalten

Dennoch hat Sucht auch eine körperliche Seite und dieser möchte ich mich heute widmen.

Dieser Artikel kann für diejenigen unter euch, die auch in meinem anderen Projekt Endlich zuckerfrei! unterwegs sind und bei sich eine Zuckersucht vermuten, hilfreich sein. Aber auch für alle emotionalen Esser, denn nicht nur Zucker, sondern auch Weizen, stark verarbeitete Lebensmittel und Lebensmittel mit viel Fett, Kohlenhydraten und Salz sind typische suchterzeugende Lebensmittel. Und das sind doch meistens genau die Nahrungsmittel, die beim Emotionalen Essen am häufigsten genutzt werden, oder?

Das Suchtpotenzial solcher Lebensmittel begründet sich darin, dass sie etwas in den biochemischen Abläufen unseres Körpers und Gehirns verändern. Als Folge verlangt unser Gehirn immer wieder nach diesen Lebensmitteln. 

Im Netz bin ich auf einen spannenden englischen Artikel zu dem Thema Ess- bzw. Lebensmittelsucht gestoßen: “Esssucht: 5 Anzeichen und wie man sie besiegen kann”. Es geht um 5 Merkmale von Esssucht, darum, welche Auswirkungen süchtig machende Lebensmittel auf unser Gehirn haben und wie man Esssucht überwinden kann. 

Die Autorin des Artikels, Dr. Vera Tarman, MD, ist die medizinische Leiterin von Renascent, einem der größten kanadischen Behandlungszentren für Drogenmissbrauch. Sie ist eine international anerkannte Expertin für Zucker- und Lebensmittelsucht und die Autorin von dem Buch “Food Junkies: Genesung von der Esssucht”. 

Hier findest du den Original-Artikel. Wir haben diesen Artikel aber auch für euch übersetzt. Am Ende habe ich noch einen kleinen Absatz dazu geschrieben, denn auch wenn ich den Artikel sehr gut finde, bin ich doch nicht mit allem einverstanden (siehe ganz unten).



Esssucht: 5 Anzeichen und wie man sie besiegen kann

Ist es für dich schwer, bestimmtes Essen nicht mehr zu essen, obwohl du genau weißt, dass es deiner Figur oder deiner Gesundheit schadet? 

Ertappst du dich dabei, dass du unbändigen Appetit auf bestimmte Lebensmittel hast oder wie besessen von ihnen bist?

Findest du es schwer mit dem Essen aufzuhören, wenn du dein Lieblingsessen isst?

Wenn du diese drei Fragen mit Ja beantwortest oder dich in den unten beschriebenen Verhaltensweisen wiedererkennst, dann kann es sein, dass du esssüchtig bist. 

Esssüchtig zu sein ist nicht dasselbe wie sich zu überessen (regelmäßig zu viel zu essen). Esssucht unterscheidet sich auch vom Emotionalen Essen (essen, um unangenehme Gefühle zu betäuben).

Esssucht, oder auch Lebensmittelsucht, ist eine Form der neurochemischen Abhängigkeit von bestimmten Lebensmitteln. Sie ist vergleichbar mit einer Drogen- oder Spielsucht. Die Schaltkreise im Gehirn des Esssüchtigen zwingen ihn dazu, unkontrolliert zu essen, wenn das auslösende Nahrungsmittel wieder konsumiert wird. Dieser unkontrollierte Essensdrang ist unabhängig davon, wie sich der Mensch gerade emotional fühlt, wie sein mentaler Zustand ist oder wie groß sein Hunger ist.

[Anmerkung von Ilga: Im Englischen spricht man von Food Addiction. Im Deutschen gibt es mehrere Begriffe. Ich habe mich bei der Übersetzung für die Verwendung von Esssucht und Lebensmittelsucht entschieden, weil einerseits der Essvorgang an sich (z.B. das Essen von großen Mengen) ein Trigger sein kann und andererseits die meisten Esssüchtigen von bestimmten Lebensmitteln abhängig sind.]

Emotionale Esser können eine Ess/Lebensmittelsucht entwickeln und Menschen mit Esssucht können durch starke Emotionen zu Essanfällen getrieben werden, aber beide können auch unabhängig voneinander existieren. Ähnlich wie manche Menschen Alkohol konsumieren, um mit Stress, Trauer und schwierigen Gefühlen umzugehen, aber nicht zu Alkoholikern werden. Die Verwendung von Alkohol als regelmäßiger Bewältigungsmechanismus kann jedoch zur Alkoholabhängigkeit prädisponieren. Ähnlich verhält es sich mit der Ess- oder Lebensmittelsucht. (1)

[Anmerkung von Ilga: Wenn ein Emotionaler Esser regelmäßig bestimmte Lebensmittel isst, kann er eine Sucht nach diesen Lebensmitteln entwickeln.]  

Esssucht ist seit vielen Jahren umstritten. Einige Forscher haben in Frage gestellt, ob es sie wirklich gibt. (2)

Denn wie kann Essen süchtig machen, wenn wir es zum Überleben brauchen?

Diejenigen, die die Existenz von Esssucht anzweifeln, schieben den Zwang zum übermäßigen Verzehr bestimmter Lebensmittel manchmal auf die mangelnde Willenskraft des Einzelnen, moralische Schwäche oder schlechte Verhaltensentscheidungen.

Glücklicherweise hat die Forschung in den letzten Jahren immer mehr Beweise dafür gefunden, dass bestimmte Lebensmittel - genau wie Alkohol, Tabak, Kokain oder andere Suchtmittel - bei anfälligen Menschen die uralten neurochemischen Belohnungsbahnen des Gehirns aktivieren und eine chemische Abhängigkeit erzeugen können. Dies führt zu einer süchtig machenden Reaktion des Gehirns, die man mit Willenskraft oder Versprechen, sich zu mäßigen, nicht kontrollieren kann.

[Anmerkung von Ilga: Die Biochemie ist einfach stärker als unser Wille.] 

Die zunehmende Forschung und das wachsende Verständnis für die Existenz tatsächlicher Esssüchte führen zu einer besseren Diagnose, Behandlung und Unterstützung für Menschen mit Esssucht. Aber es ist immer noch mehr Sensibilisierung notwendig.

Ich [Frau. Dr. Vera Tarman, MD, Autorin des Artikels] bin Facharzt für Suchtmedizin und behandle seit mehr als 30 Jahren Patienten mit allen Arten von Süchten: Alkohol, Freizeitdrogen und verschreibungspflichtige Medikamente, Verhaltensstimulanzien wie Glücksspiel, Sex, Pornos und Videospiele - und ja, auch Esssucht.  

Ich selbst [Dr. Vera Tarman] bin süchtig nach bestimmten Lebensmitteln und habe mehr als 100 Pfund abgenommen, indem ich meine Sucht erkannt und meine Trigger-Nahrungsmittel (vor allem Zucker, Mehl und Getreide) gemieden habe.

Mein Buch “Food Junkies: Recovery From Food Addiction" (Genesung von der Esssucht) betrachtet sowohl die größer werdende Wissenschaft über die Esssucht als auch die Geschichten meiner Patienten. Meine Website “Addictions Unplugged” und meine Facebook-Seite “Sugar-free for Life Support Group: I'm Sweet Enough" (Ich bin süß genug) bieten weitere Unterstützung, Informationen und Kurse für Menschen, die möglicherweise an einer Esssucht leiden.

In diesem Artikel geht es um:

  • Die fünf wichtigsten Anzeichen für Ess- bzw. Lebensmittelsucht: Wie du herausfinden kannst, ob du esssüchtig bist.
  • Das Belohnungssystem des Gehirns und die neurochemischen Veränderungen, die bei allen süchtig machenden Substanzen im Gehirn stattfinden.
  • Das Risiko der Suchtverlagerung: Warum man, wenn man von einer Substanz, wie z.B. Alkohol, abhängig ist, von einer anderen, wie z.B. Lebensmitteln, abhängig werden kann, wenn der erste Auslöser beseitigt ist.
  • Die häufigsten Lebensmittel, die eine Sucht auslösen, insbesondere Zucker, raffinierte Kohlenhydrate und extrem verarbeitete Lebensmittel.
  • Wie du deine Essucht erfolgreich überwinden kannst, insbesondere durch Abstinenz von deinem Trigger-Nahrungsmittel.
  • Weitere Ressourcen, wie z.B. meinen umfangreichen Videokurs “Adapt Your Life sugar and food Addiction” und die Food Junkies Podcasts sowie die Diet Doctor Podcasts und den Zuckersucht-Videokurs mit Bitten Jonsson.

Kurz gesagt, Esssucht gibt es wirklich. Wie eine Flamme, die trockenes Holz entzündet, entfachen Trigger-Lebensmittel einen feurigen und unersättlichen Appetit, der uns essen, essen und nochmals essen lässt. Aber Esssucht ist behandelbar. Du kannst deine Esssucht besiegen, Gewicht verlieren und deine Gesundheit verbessern. Lies weiter. 

Die 5 Zeichen der Sucht

Woher weißt du, ob du an einer Esssucht leidest?

Wenn du dir nicht sicher bist, können dir Fragebögen und Umfragen helfen, es herauszufinden.

Foodaddicts.org hat einen 20-Punkte-Fragebogen, der nach verschiedenen Verhaltensweisen und Gefühlen wie Scham, Schuld und mangelnder Kontrolle rund ums Essen fragt.

Die 35 Fragen der Yale Food Addiction Scale (Yale-Skala für Esssucht) sind ein validiertes Forschungsinstrument, das von Suchtmedizinern und Forschern eingesetzt wird, um gezielt diejenigen zu ermitteln, die am ehesten Anzeichen von Esssucht aufweisen. (4) 

Ich habe einen einfachen Weg gefunden, Esssucht zu erkennen. Im Allgemeinen lässt sich die Esssucht an fünf Hauptmerkmalen erkennen.(5)

Diese Anzeichen sind die Kriterien für JEDE Art von Sucht, egal ob es sich um Nahrungsmittel, Drogen, Alkohol oder Verhaltenssucht handelt.

Diese fünf Anzeichen haben mit der Art und Weise zu tun, wie süchtig machende Substanzen auf das Belohnungszentrum und die Neurotransmitter in unserem Gehirn wirken, insbesondere auf den Neurotransmitter Dopamin.

1. Heißhunger und Besessenheit

  • Hast du Heißhunger auf bestimmte Lebensmittel?
  • Vernachlässigst du bessere (gesündere) Lebensmittel zugunsten deines Verlangens oder deiner Besessenheit von deinem Lieblingsessen?Beschäftigst du dich in Gedanken zwanghaft mit diesem Nahrungsmittel oder Nahrungsmitteln?
  • Machst du dir Gedanken darüber, wo und wann du das Lebensmittel zum nächsten Mal bekommen kannst, wenn es gerade nicht in deiner Nähe ist?
  • Wenn du dieses Lebensmittel siehst, willst du es dann unbedingt essen und gibst normalerweise nach und isst es?

Heißhunger und Besessenheit sind in der Regel ein Zeichen dafür, dass der Dopaminspiegel in deinem Gehirn niedrig ist und dein Gehirn nach Möglichkeiten sucht, ihn zu erhöhen. (6)

2. Toleranzbildung

  • Musst du mehr von deinem Essen essen, um die gleiche Wirkung wie anfangs zu erzielen?
  • Versuchst du aus dem Essen eine Befriedigung zu ziehen, die aber sowieso nie eintreten wird?
  • Isst du dich auch weiter voll, auch wenn du am liebsten aufhören würdest, nur um dich wieder "normal" zu fühlen?
  • Isst du so viel, dass dir schlecht wird, nur um dich "normal" zu fühlen?

Toleranzbildung ist ein Zeichen dafür, dass sich die Dopaminrezeptoren in deinem Gehirn herunterreguliert haben. (7)

Das Suchtmittel löst Dopaminschübe im Gehirn aus. Daraufhin veranlasst das Gehirn zur Aufrechterhaltung der Homöostase, seine Dopaminrezeptoren zu reduzieren. [Anmerkung von Ilga: Es wäre sonst einfach zu viel Dopamin.] Das bedeutet aber auch, dass man jetzt mehr von dem Sucht-Lebensmittel braucht, um die gleiche Wirkung wie zu Anfang zu erzielen. In der Drogenszene wird dieses Gefühl des "nie genug", auf der Suche nach der ersten Euphorie, als "chasing the dragon" (Jagd nach dem Drachen) bezeichnet.

3. Kontrollverlust

  • Kannst du einfach nicht nach einer oder zwei Portionen deiner Lieblingsspeise aufhören?
  • Isst du heimlich?
  • Ist es dir peinlich, wie du isst?
  • Bist du nicht in der Lage, dein Verhalten oder deinen Konsum in Bezug auf deine Trigger-Lebensmittel zu mäßigen oder zu regulieren?

Die Neurobiologie der Sucht, insbesondere Veränderungen des Dopaminspiegels und der Dopaminrezeptoren, schränkt die Fähigkeit zur freiwilligen Selbstkontrolle gegenüber den Trigger-Nahrungsmitteln ein.

4. Beeinträchtigungen und Schäden in anderen Lebensbereichen

  • Leidest du unter den Folgen deines Essverhaltens auf deine Gesundheit, dein Gewicht oder deine Beziehungen, aber du isst trotzdem weiterhin Lebensmittel, von denen du weißt, dass du sie nicht essen solltest?
  • Leidest du an Fettleibigkeit, Diabetes, Bluthochdruck, Fettleber oder anderen gesundheitlichen Problemen, von denen du weißt, dass sie sich verbessern könnten, wenn du dein Essverhalten ändern würdest?
  • Fühlst du dich deprimiert oder verachtet du dich selbst für die Art und Weise, wie oder was du isst?
  • Werden Beziehungen, gesellschaftliche Ereignisse oder berufliche Situationen durch dein Essverhalten negativ beeinflusst?

Wenn du nicht aufhören kannst, bestimmte Lebensmittel zu essen, obwohl du weißt, dass sie schlecht für deine Gesundheit, dein Leben oder deine Beziehungen sind, überlagern deine Belohnungsschaltkreise im Gehirn wahrscheinlich deine Fähigkeit, dein Verlangen zu kontrollieren.

5. Abhängigkeit

  • Wenn du versuchst aufzuhören, fällt es dir zu schwer und letztlich gibst du auf?
  • Wenn du versuchst, aufzuhören, wird dein Verlangen dann schlimmer oder unerträglich?
  • Erlebst du beim Aufhören Entzugserscheinungen wie Unruhe, Angstzustände, Schlaflosigkeit, Wut oder Reizbarkeit? Fühlst du dich benebelt, müde oder hast wenig Energie?
  • Kannst du dir ein Leben ohne dein(e) Trigger-Nahrungsmittel nicht vorstellen?
  • Würdest du alles tun, sogar stehlen, um dein spezielles Nahrungsmittel zu bekommen, anstatt damit aufzuhören?

Die Abhängigkeit von süchtig machenden Nahrungsmitteln, vor allem, wenn sie uns überall umgeben, kann dazu führen, dass wir das Gefühl haben, dass es unmöglich ist, unser Trigger-Nahrungsmittel zu meiden, und dass wir keine Hoffnung haben, dass wir jemals von unserem süchtigen Essverhalten loskommen werden.

Hinweis: Du musst nicht alle fünf Anzeichen aufweisen, um lebensmittelsüchtig zu sein. Schon einige von ihnen reichen aus, um dir zu zeigen, dass ein bestimmtes Lebensmittel dich in einem Suchtkreislauf gefangen hält und deine Gesundheit oder deine Fähigkeit, Gewicht zu verlieren, unterläuft.

Wenn bei dir alle fünf Anzeichen zutreffen, solltest du dich auf jeden Fall als esssüchtig betrachten und deine Auslöser-Lebensmittel so behandeln, als wären sie für dich so stark wie eine süchtig machende Droge.


Beitragsbild oben von Angelo Esslinger auf pixabay, Pizza-Bild von PublicDomainPictures auf pixabay

Das sechste Zeichen ist Verleugnung

Es gibt ein sechstes, zusätzliches Anzeichen dafür, dass du möglicherweise von bestimmten Lebensmitteln abhängig bist. Das ist das Verleugnen oder Herabspielen der Macht, die diese Lebensmittel in deinem Leben ausüben. In der Suchtmedizin sagen wir immer: "Die Sucht lügt".

  • Sagst du dir selbst, dass es nicht so schlimm ist, obwohl du weißt, dass es das ist?
  • Versprichst du dir selbst, dass du morgen aufhören wirst?
  • Verharmlost du die Auswirkungen deiner Trigger-Lebensmittel oder deren Konsum auf deine Gesundheit oder dein Gewicht?
  • Versteckst du dein Essen, damit andere nicht sehen, was du isst? Oder, damit du selbst nicht merkst, wie schlimm es ist?

Studien zeigen, dass Suchtkranke sich ihrer selbst oft nicht bewusst sind oder die Auswirkungen ihrer Sucht auf ihr Leben leugnen. (8) Dies kann die Wahrscheinlichkeit verringern, dass sie sich angemessene Hilfe suchen, den Suchtkreislauf so verlängern oder das Risiko eines Rückfalls erhöhen.

Die gute Nachricht ist, dass die Tatsache, dass du diesen Artikel liest, um herauszufinden, ob du eine Esssucht hast oder nicht, der erste Schritt zur Überwindung der Sucht ist. Das ist der erste Schritt auf dem Weg, dir die Hilfe zu holen, die du brauchst.

Was passiert im Gehirn?

Die Gehirnchemie, die den Süchtigen dazu bringt, über den Sättigungspunkt hinaus nach Genuss zu streben, ist ähnlich, egal ob der Konsument Jack Daniels oder Jack-in-the-Box bevorzugt. Bei einer funktionellen Kernspintomographie, die zeigen kann, was mit den Gehirnchemikalien geschieht, sind die Ergebnisse im Wesentlichen gleich, unabhängig davon, ob es sich bei der Substanz um Kokain, Zucker, Alkohol, Donuts, Eiscreme oder Heroin handelt. (9)

Dies alles geschieht tief in unserem Gehirn in einer Reihe miteinander verbundener Strukturen, die als limbisches System bezeichnet werden. Das limbische System enthält die Belohnungsschaltkreise oder Belohnungsbahnen des Gehirns und ist an unseren Verhaltens- und Gefühlsreaktionen beteiligt, insbesondere wenn es um Verhaltensweisen geht, die wir zum Überleben brauchen.

Diese miteinander verbundenen Strukturen, die oft als das alte Säugetiergehirn bezeichnet werden, steuern und regulieren unsere Fähigkeit, Freude zu empfinden. Das Gefühl der Freude motiviert uns zum Erlernen und Wiederholen von Verhaltensweisen.

Essen und andere Aktivitäten, die unser Überleben fördern - wie Sex, soziale Interaktion und Sport - werden alle durch denselben Pool von Botenstoffen in unserem Gehirn (Neurotransmittern) angetrieben. Dopamin, Serotonin und Endorphine durchlaufen bestimmte neuronale Bahnen, um unsere Stimmung zu beeinflussen und uns Gefühle von Vergnügen, Aufregung, Behaglichkeit und Freude zu vermitteln.

  • Dopamin ist an den Gefühlen des Wollens, des Verlangens, der Motivation und des Lernens beteiligt. Ich nenne es den Botenstoff des "Wollens", der uns antreibt, nach Belohnungen zu suchen. (10)
  • Serotonin wird mit Glück, Behaglichkeit und Gelassenheit in Verbindung gebracht. Ich nenne es den Botenstoff der "Zufriedenheit", durch den wir uns sicher und zufrieden fühlen. (11)
  • Endorphine sind an der Schmerzlinderung, dem Stressabbau und der Verbesserung des Wohlbefindens beteiligt, was uns in Zeiten von Stress oder Schmerzen unterstützen kann. Sie betäuben uns und sorgen dafür, dass wir uns auch in schwierigen Zeiten gut fühlen. (12)

Während einige Drogen nur auf einen Neurotransmitter wirken (Opiate wirken beispielsweise auf Endorphine), zeigt die Forschung, dass Zucker, raffinierte Kohlenhydrate und Kombinationen aus Fett, Zucker und Salz auf alle drei Botenstoffe wirken und diese freisetzen. (13)

Kein Wunder, dass Lebensmittel süchtig machen. Sie decken alle Aspekte unseres Vergnügens und unserer Behaglichkeit ab!

Hormonelle Stoffe wie Leptin und Grehlin sind ebenfalls daran beteiligt, unsere Nahrungsaufnahme zu regulieren, indem sie unseren Appetit kontrollieren. Esssucht kann diese Hormone außer Kraft setzen. Wenn wir esssüchtig sind, versetzt uns der Genuss bestimmter Lebensmittel in so eine große Euphorie, dass diese unseren natürlichen Impuls, bei Sättigung mit dem Essen aufzuhören, überlagert. (14)

Also, kurz gesagt, unser Gehirn ist so verdrahtet, dass es Essen genießt und Freude daran empfindet – das ist ursprünglich ein Überlebensmechanismus für uns gewesen. Wahrscheinlich greifen wir besonders gern zu Lebensmitteln, die viel Fett und Zucker enthalten – was beides energiereiche Makronährstoffe sind – weil die Zufuhr von Kalorien und deren Speicherung in Form von Fett unser Überleben in Zeiten von Hungersnöten sicherte. Damit ist ein Mechanismus des Gehirns, der vor Tausenden von Jahren sehr vorteilhaft war, heute nachteilig, wenn uns energiereiche und sehr schmackhafte Lebensmittel dauerhaft und überall zur Verfügung stehen.

Tatsächlich nutzen moderne Lebensmittelhersteller diese Belohnungswege im Gehirn bewusst aus, um Lebensmittel zu entwickeln – insbesondere extrem verarbeitete Lebensmittel mit hohem Zucker-, raffiniertem Kohlenhydrat-, Fett- und Salzgehalt –, die wir unwiderstehlich finden. Sie machen guten Gewinn aus unseren uralten Schwachstellen, die uns dazu bringen, immer wieder zuzugreifen. (15)

Und einige von uns sind anfälliger als andere.

Das Suchtverhalten bestimmt sich durch das Ausmaß, in dem eine Person gezwungen ist, diese Lebensmittel zu essen, und nicht in der Lage ist, den Konsum dieser Lebensmittel zu kontrollieren. Manche Menschen haben einfach nur Appetit auf das Lebensmittel und geben dem gelegentlich nach. Bei anderen besteht ein höheres Risiko für eine vollständige Abhängigkeit.

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Bild von Randy Tarampi auf Unsplash

Suchtanfälligkeit und -verlagerung

Warum entwickelt eine Person eine Essenssucht, die sie zum dauernden und übermäßigen Essen zwingt, während eine andere Person nur gelegentlich die Leckereien konsumiert?

Wie bei allen Suchttendenzen zeigt die Forschung, dass die Anfälligkeit für Süchte eine komplexe Mischung aus Risikofaktoren ist, zu denen die Genetik, negative Erfahrungen in der Kindheit, ein stressiges Umfeld, frühere Traumata, psychische Erkrankungen und andere prädisponierende Faktoren gehören. (16)

Viele Menschen mit einer Zucker- oder Lebensmittelsucht haben eine Vorgeschichte mit anderen Süchten, z. B. nach Tabak oder Alkohol. Jahrelang lautete der Ratschlag bei den Treffen der Anonymen Alkoholiker: Wenn du dich nach einem Drink sehnst, dann nimm stattdessen etwas Süßes.

Die Verlagerung von Süchten stellt ein erhebliches Risiko dar. Studien haben gezeigt, dass Menschen mit Fettleibigkeit (von denen man annehmen kann, dass sie esssüchtig sind), die sich einer Magenbypass-Operation unterziehen, ein erhebliches Risiko für Alkoholabhängigkeit und anderes Suchtverhalten haben. (17)

Meine Schlussfolgerung, die zunehmend auch von anderen Experten für Suchtmedizin akzeptiert wird, ist, dass alle Süchte unterschiedliche Erscheinungsformen derselben zugrunde liegenden Störung der Belohnungsbahnen im Gehirn sind. Aus diesem Grund ist die Verlagerung von einer Sucht auf eine andere so häufig.

[Anmerkung von Ilga: Genau hier kommt das Klopfen ins Spiel, da wir damit die Möglichkeit haben den ursprünglichen Grund (die "Störung der Belohnungsbahnen im Gehirn"), den Auslöser für das Suchtverhalten zu beenden.]

Wenn eine Person nicht mehr in der Lage ist, übermäßig zu essen, beispielsweise nach einer Magenbypass-Operation, wendet sie sich einem anderen Mittel zu, um ihre neurochemischen Bahnen zu beleben. Wenn jemand mit einer Tabak- oder Alkoholsucht aufhört zu rauchen oder zu trinken, erhöht sich dafür das Risiko einer Zuckersucht.

Behandlung: Wie man Esssucht besiegen kann

Wenn dich die bisherigen Abschnitte dieses Artikels hoffnungslos gemacht haben, mach dir dennoch keine Sorgen. Es gibt einen Ausstieg aus der Zucker- und Esssucht. 

Der erste Schritt besteht darin, dass du anerkennst, dass du ein Problem hast, wenn du dich in den oben aufgeführten Anzeichen wiedererkennst. Wenn du dann verstehst, was in deinem Gehirn auf neurochemischer Ebene vor sich geht, hilft dir das dabei, dir selbst Liebe und Mitgefühl dafür zu geben, dass es schwierig ist, dein Verlangen und den Drang zu essen zu kontrollieren - obwohl du satt bist und auch trotz der negativen Folgen.

Der nächste Schritt besteht darin, eine ehrliche Bestandsaufnahme der Lebensmittel zu machen, bei denen es dir nicht gelingt, sie in Maßen zu essen, nach denen es dich permanent verlangt und deren Konsum du nicht kontrollieren kannst. Das sind deine Trigger-Lebensmittel.

Die Lebensmittel, die am häufigsten süchtig machen, sind Zucker und Süßigkeiten, raffiniertes Mehl und Kohlenhydrate sowie Mischungen aus Zucker, raffinierten Kohlenhydraten, Fett und Salz. (18)

Meiner Erfahrung nach beginnt die Lebensmittelsucht in der Regel mit einer Zuckersucht und entwickelt sich dann über ein Kontinuum von leicht über mittelschwer zu schwer. In den ersten Jahren kann ein Esssüchtiger vielleicht nur durch Zucker getriggert werden und es fällt ihm schwer, den Konsum von Bonbons und Süßigkeiten zu kontrollieren.

Aber mit der Zeit und bei zunehmendem Konsum von Zucker werden auch raffiniertes Mehl und andere Kohlenhydraten, die unser Körper schnell zu Zucker verdaut, zu einem Problem. Je süchtiger eine Person wird, desto mehr Lebensmittel gibt es, die Essanfälle und Essstörungen auslösen.

Eine schwere Lebensmittelsucht kann ein breites Spektrum von Trigger-Lebensmitteln umfassen, darunter Getreide, Milchprodukte oder kalorienfreie Süßstoffe. Man kann sogar süchtig nach dem Prozess des Essens selbst werden, indem man ständig “grasen” muss.

Was sind deine Trigger-Lebensmittel? Wenn du auch nur einen kleinen Bissen deines Trigger-Lebensmittel zu dir nimmst, kommt es in der Regel zu einem Essanfall oder zu einem anderen Essproblem, das du nicht kontrollieren kannst.

Das Vermeiden von Triggern ist essentiel

Meiner Meinung nach ist die wirksamste Behandlung, um die Esssucht zu besiegen, die Trigger-Nahrungsmittel und die dazugehörigen triggernden Verhaltensweisen zu beseitigen und zu vermeiden. Dies ist die harte Wahrheit. Esssüchtige können sich nicht mäßigen. Genauso wie jemand mit einer Alkoholsucht einen Rückfall riskiert, wenn er trinkt, kann ein Esssüchtiger schon mit einem einzigen Bissen eines Trigger-Nahrungsmittels die Kontrolle verlieren, z.B. mit einem Löffel Nachtisch oder einem Stückchen Brot oder Pizza.

Die gute Nachricht ist jedoch, dass der komplette Verzicht auf deine spezifischen Trigger-Lebensmittel die Belohnungsbahnen in deinem Gehirn wieder “zurücksetzen” und dich so von Heißhunger und Esszwang befreien kann. Auch wenn die ersten Tage des Verzichts extrem schwierig sein können, lohnt es sich, denn dein Verlangen wird mit der Zeit höchstwahrscheinlich nachlassen oder kann sogar ganz verschwinden. 

Wie lange dauert das in der Regel? Das kann man leider nicht pauschal sagen – das ist  sehr individuell. Manche Menschen verspüren schon nach wenigen Tagen des Verzichts weniger Verlangen. Andere spüren das Verlangen jahrelang immer wieder, vor allem unter Stress. Aber man kann Techniken lernen und Strategien entwickeln, um das Verlangen zu dämpfen. (19)  

Wenn du deine Trigger-Lebensmittel aus deinem Wohn- und Arbeitsumfeld entfernst, nicht an vertraute Orte gehst, wo du das Essen siehst und das Verlangen danach ausgelöst werden kann, und keine süß schmeckenden Lebensmittel isst, kann das alles helfen, den Kreislauf der Esssucht nicht erneut auszulösen.

An dieser Stelle muss ich (Ilga) mal dazwischen gehen:

In meinen Augen greift die dauerhafte Abstinenz vom Suchtmittel nur auf der Verhaltensebene und ist auf Dauer viel zu anstrengend. Lies dazu bitte mein Fazit unten.

Eine ketogene Ernährung kann helfen

Eine kohlenhydratarme (low carb) oder ketogene Ernährung ist ein wirksames Mittel, um die am meisten süchtig machenden Lebensmittel aus deinem Leben zu verbannen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass du mit gesunden und zufriedenstellenden Lebensmitteln versorgt bist. (20) 

Studien über Personen mit Esssucht, die sich ketogen ernähren, berichten von einer deutlichen Verringerung der Symptome der Esssucht, einschließlich Heißhunger und Kontrollverlust.

Diet Doctor hat viele Angebote, die dich bei einer kohlenhydratarmen oder ketogenen Ernährung unterstützen, aber kurz zusammengefasst: In einer ketogenen Ernährung wirst du Zucker und Kohlenhydrate, die schnell zu Zucker verdaut werden, wie raffiniertes Mehl, Stärke, Nudeln, Kartoffeln, Cracker, Kuchen und Kekse aus deiner Ernährung streichen.

Anmerkung von mir [Dr. Vera Tarman]: Obwohl Diet Doctor Keto-Desserts mit kalorienfreien Süßungsmitteln anbietet, rate ich allen Esssüchtigen, diese süß schmeckenden Leckereien zu vermeiden. Der Grund dafür ist, dass der süße Geschmack von Speisen mit Süßungsmitteln bei den meisten Menschen mit Lebensmittelsucht immer noch die Belohnungsbahnen im Gehirn anregen kann. Meiner Erfahrung nach ist dies oft der Grund für den Rückfall aus einem Keto-Plan, der sonst gut funktioniert hat.

Bei einer Low-Carb- oder Keto-Diät ernährst du dich von nahrhaften Proteinen, einer großen Auswahl an Gemüse, Nüssen, Samen und zuckerarmen Früchten wie Himbeeren, Blaubeeren und Erdbeeren.

Meiner Erfahrung nach werden diese nicht süchtig machenden Lebensmittel dich zufrieden stellen und dir gut schmecken, sobald du die Entzugsphase des Heißhungers überwunden hast. Es gibt dann KEIN Gefühl des Verzichts mehr. Du fühlst dich genährt, ruhig und glücklich, wenn es ums Essen geht, und wirst nicht von Zwängen und Verlangen getrieben, die du nicht kontrollieren kannst. Du bist entspannt, was Essen angeht, – solange du nicht deine Trigger-Nahrungsmittel isst oder dich deiner süchtig machenden Verhaltensweisen hingibst, wie z.B. übermäßige Mengen zu essen.

Vielen Menschen mit Esssucht hilft es auch, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen oder mit anderen Betroffenen zu sprechen, ähnlich wie bei den Anonymen Alkoholikern.  Es gibt mehr als ein Dutzend Organisationen mit Selbsthilfegruppen, die Esssüchtigen helfen können. Dazu gehören Overeaters Anonymous, Food Addicts Anonymous, Food Addicts in Recovery Anonymous und Compulsive Eaters Anonymous. Such im Netz "Selbsthilfegruppe für Esssüchtige", um weitere Möglichkeiten in deiner Region zu finden.

Das Gegenteil von Sucht ist Gemeinschaft (menschliche Verbindung), nicht Abstinenz.  --> Daher gibt es im Endlich frei essen!-Programm auch die Gruppe!

[Anmerkung von Ilga: Auf der Seite des Original-Artikels findest du am Ende noch weitere Unterstützungsmöglichkeiten, die ich hier nicht im Detail auflisten möchte.] 


Mein Fazit

So, das war viel. Und spannend, oder?

Ich sehe viele Parallelen zu meiner Arbeit im Bereich der Zuckersucht. Auch bei meiner Arbeit mit Zuckersüchtigen nutze ich vor allen Dingen den Entzug vom Zucker, um den Körper und das Gehirn wieder zurück zu einer “normalen” Reaktion auf Zucker zu bringen. Es ist tatsächlich wie ein Reset des Systems. Und bei manchen geht es ganz schnell, bei anderen dauert länger. 

Wenn das Verlangen nach dem süchtig machenden Lebensmittel einfach nicht aufhört

Wenn der Zuckersüchtige lange braucht, um vom Zucker loszukommen, wirken meiner Meinung nach andere Ursachen noch im Hintergrund. Der Körper erholt sich relativ schnell vom Zucker bzw. sein Verlangen nach dem Zucker lässt relativ schnell nach. Wenn beim Zuckersüchtigen das Verlangen trotzdem einfach nicht schwächer wird, liegen oft emotionale Ursachen vor, dass der Mensch den Zucker “braucht”. 

Die dauerhafte Abstinenz vom Suchtmittel greift nur auf der Verhaltensebene und ist auf Dauer viel zu anstrengend.

Frau Tarman empfiehlt dafür ja die weitere Abstinenz von dem Suchtmittel (Wie es ja auch für Alkoholiker üblich ist. Üblicherweise sind trockene Alkoholiker den Rest ihres Lebens abstinent). Das ist für mich kein dauerhafter Weg. Das hat für mich zu viel mit Verzicht, Kampf und Verhaltensregulation zu tun. Es ist für mich nicht erstrebenswert, das Leben lang auf Zucker, Sahnetorte, Käse oder ein anderes “heikles” Lebensmittel zu verzichten. Für mich liegt die Freiheit gerade darin, ein Stück essen zu können – und dann wieder aufhören zu können. Und das ist meiner Erfahrung nach möglich. Aber um das zu erreichen, braucht es eine umfassendere Hilfe als ausschließlich dem Körper zu helfen und ihn “trocken” vom Suchtmittel zu legen. 

Ketogene Ernährung, um aus der Esssucht auszusteigen

Auch Frau Tarmans Empfehlung einer dauerhaften ketogenen Ernährung stimme ich als Lösung nicht komplett zu. Für einige mag das eine gute Vorgehensweise sein. Dennoch denke ich, dass unsere Körper alle sehr individuell sind. Es gibt Menschen, die mit einer ketogenen Ernährung nicht gut klarkommen, weil sie mehr Kohlenhydrate brauchen. Für sie wäre das dann nicht die richtige Vorgehensweise. 

Bild von Taylor Hernandez  auf Unsplash

Das Lebensmittel ist nicht das Problem. 

Frau Tarman schreibt darüber hinaus, dass das Verlangen nach dem Trigger-Lebensmittel in Stresssituationen zurückkommen kann. Und genau das ist typisch Emotionales Essen: Ich bin gestresst, also muss ich essen. Aber das Essen ist da nur ein Symptom. 

Es ist nicht der Körper, der in dem Moment nach dem Trigger-Lebensmittel verlangt, sondern wir brauchen es, um den Stress abzuwehren. 

Also ist nicht das Lebensmittel das Problem, sondern es liegt am Stress. Also ist auch nicht die Lösung, das Lebensmittel zu entfernen, sondern auf den Stress zu schauen: Was genau stresst mich an dieser Situation so sehr, dass ich wieder dieses Lebensmittel essen möchte? Es geht nicht darum, eine Beruhigungsstrategie oder ähnliches über den Stress zu legen, sondern es geht darum, den Stress genau anzusehen und ihn zu lösen. Damit ich in der nächsten potentiell stressigen Situation nicht wieder Essen oder eine andere Strategie brauche, sondern gar nicht erst so gestresst bin. Ich nutze dafür in meinem Programm die Klopftechnik

Im Endeffekt schlägt Frau Tarman im Artikel oben eine dauerhafte Verhaltensänderung vor. Ich hab das auf Dauer aber nicht geschafft, mich so zu kontrollieren. Du? 

Schau nochmal Frau Tarmans Empfehlung: “Wenn du deine Trigger-Lebensmittel aus deinem Wohn- und Arbeitsumfeld entfernst, nicht an vertraute Orte gehst, wo du das Essen siehst und das Verlangen danach ausgelöst werden kann, und keine süß schmeckenden Lebensmittel isst, kann das alles helfen, den Kreislauf der Esssucht nicht erneut auszulösen.”

Ja, das stimmt sicherlich, aber das alles dauerhaft durchzuhalten kostet ganz schön viel Kraft und umschifft nur das Problem. Guck lieber hin, warum du das Lebensmittel wieder brauchst. 

Ich bin von der Sucht geheilt. 

Wenn wir uns den Ursachen der Esssucht zuwenden, die sich zeigen, wenn der Körper von der Sucht entwöhnt ist, ist echte Heilung möglich. Frau Tarman sieht sich immer noch als esssüchtig: “In fact, I myself am a food addict“. Ich selbst sehe mich nicht mehr als zuckersüchtig an und bin auch keine emotionale Esserin mehr. 

Ich brauche mein Verhalten nicht kontrollieren (wie ich es früher so oft probiert habe), indem ich keine Trigger-Lebensmittel zu Hause habe, Cafés meide, Feiern meide und andere kontrollierende Dinge tue. Die Anwesenheit der Trigger-Lebensmittel stört mich nicht mehr, weil ich aus mir heraus fühle, dass ich sie nicht mehr essen möchte oder nur noch ab und zu in kleinen Mengen. Ich habe die Perspektive gewechselt. Ich kontrolliere mein Verhalten nicht mehr von außen, sondern aus der Selbstliebe in mir möchte ich dieses Essen nicht mehr essen. Ich könnte Zucker und Torte und Weißmehl und so weiter essen, ich darf das ja, aber ich will es heute nicht mehr – mir und meinem Körper zuliebe. 

Durch die Heilung der emotionalen Ursachen meiner Essproblematik hat sich nach und nach meine Selbstliebe so sehr aufgebaut, dass ich mir bestimmtes Essen nicht mehr antun will. 

Meiner Meinung ist die vollständige Heilung von Esssucht also möglich. Und damit meine ich kein “Trockensein”. Ich meine damit die Freiheit, die süchtig machenden Lebensmittel in der Menge zu essen, wie ich Lust drauf habe und dann aufhören zu können. 

Abstinent zu bleiben aus Angst vor einem Rückfall ist in meinen Augen keine Heilung (Mehr zu Emotionales Essen und Rückfälle). 

Ich finde es sehr spannend, was Frau Tarman zu den neurochemischen Reaktionen in unserem Gehirn schreibt, und zu sehen, dass es unsere Reaktion im Gehirn ist, dass wir auf bestimmte Lebensmittel so einen Jieper entwickeln können. Und du hast bei dir sicherlich auch schon beobachtet, dass du, wenn du emotional isst, eher zu Junk Food greifst als zu Sprossen und Brokkoli, oder?

Abschließend:

Zusammenfassend ist mein Fazit, dass es auf dem Weg raus aus dem süchtigen Essverhalten (Zuckersucht, Esssucht, Emotionales Essen) eine sinnvolle Idee ist, den Körper durch eine nährstoffreiche, naturbelassene Vollwerternährung mitzunehmen, das süchtig machende Lebensmittel für eine gewisse Zeit aus der Ernährung zu streichen und dem Körper damit zu helfen, die im Artikel beschriebenen suchterzeugenden körpereigenen biochemischen Reaktionen zu verlassen. Für eine ganzheitliche Heilung der Sucht empfehle ich jedoch sehr, sich zusätzlich die emotionalen Ursachen der Sucht anzuschauen. In meinen Augen ist Heilung nur möglich, wenn wir die Seele mit auf den Weg nehmen.  Lies dazu mehr bei Emotionales Essen und Trauma und wie man Emotionales Essen stoppen kann.



Quellen des Original-Artikels

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3 Koball AM, Ames G, Goetze RE. Addiction Transfer and Other Behavioral Changes Following Bariatric Surgery. Surg Clin North Am. 2021 Apr;101(2):323-333. doi: 10.1016/j.suc.2020.12.005. PMID: 33743972.

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5 Dies basiert auf Frau Dr. Vera Termans klinische Erfahrung in Suchtmedizin. [weak evidence]

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14 Klinische Erfahrung der Suchtmedizinerin Dr. Vera Tarman.

15 Siehe Michael Moss’ Bücher: “Hooked: Food, Free Will, and How the Food Giants Exploit Our Addictions” und “Salt, Sugar, Fat: How the Food Giants Hooked Us” oder Dr. Robert Lustigs Buch “Metabolical”

16 Santangelo OE, Provenzano S, Firenze A. Risk Factors for Addictive Behaviors: A General Overview. Int J Environ Res Public Health. 2022 May 28;19(11):6583. doi: 10.3390/ijerph19116583. PMID: 35682170; PMCID: PMC9180507.

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18 Klinische Erfahrung der Suchtmedizinerin Dr. Vera Tarman.

19 Dies ist die klinische Erfahrung der Suchtmedizinerin und Artikelautorin Dr. Vera Tarman.

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